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Siegertitel Deutscher Kinder- und Jugendliteraturpreis 2024

Deutscher Kinder- und Jugendliteraturpreis 2024

Leider war ich dieses Jahr nicht auf der Buchmesse. Die Preisverleihung in Frankfurt habe ich deshalb live am Fernseher verfolgt. Wie jedes Jahr war ich von der einen oder anderen Entscheidung überrascht. Aber so ergeht es wohl vielen.

Inhaltsverzeichnis

Preis in der Kategorie Bilderbuch

Von den Bilderbüchern hatte ich mir zuvor keines angesehen, aber von der Präsentation des Siegertitels war ich sehr getan. Die Autorin Mượn Thị Văn und die Illustratorin Victo Ngai erhielten für ihr Bilderbuch „Wünsche”, das 2023 in dem kleinen Horami-Verlag erschienen ist, den Preis in der Kategorie Bilderbuch. Darin erzählen sie von der Flucht einer Familie mit zwei Kindern aus Südvietnam. Beeindruckend ist, dass der gesamte Text nur 75 Worte hat. Alles dreht sich um die Frage: Was würdest du dir wünschen, wenn du dein Zuhause verlassen und alles zurücklassen müsstest? Das Boot wünscht sich, es wäre größer. Das Meer wünscht sich, es wäre ruhiger. Und am Ende wünschen sich alle ein „Nie mehr”.

Preis in der Kategorie Kinderbuch

Keine Überraschung war dagegen wohl, dass das bereits vielfach prämierte Kinderbuch „Wolf” von Saša Stanišić (erschienen 2023 bei Carlsen) mit den grandiosen Illustrationen von Regina Kehn ausgezeichnet wurde. Saša Stanišić erzählt darin eine Ferienlager-Geschichte, in der es um Mobbing geht.

Ich habe das für Kinder nicht immer leicht zu lesende, aber toll geschriebene Buch gelesen und letztes Jahr die Theateraufführung im Thalia in der Gaußstraße in Hamburg gesehen. Das war beeindruckend.

Der Autor schreibt:

„Wolf” (…) hat ihren Ursprung in meiner eigenen Schulzeit. Wie Kemi war auch ich für längere Zeit Zeuge von Mobbing an meiner Schule. Und ähnlich wie er habe auch ich nichts gesagt, bin dem Opfer nicht zur Seite gestanden. Man trägt aber als Mitschüler eine Verantwortung, niemanden im Stich zu lassen, und man ist auch nie bloß passiv beteiligt, sondern eben – beteiligt.

(Aus dem Programm-Flyer zu „Wolf”, Regie: Camilla Ferraz, Premiere 27.9.23, Thalia Gaußstraße, Garage.)

Dieses Anliegen verarbeitet Saša Stanišić in diesem Buch: Kemi, ein stiller und zurückhaltender Schüler, muss eine Woche ins Ferienlager, wo er zum Glück nicht der einzige Außenseiter ist. Derjenige, der alles abbekommt, ist Jörg, mit dem Kemi sich eine Hütte im Wald teilt. Kemi ist erleichtert, aber auch auch beschämt, weil er dem Mobbing nichts entgegensetzt. Nachts im Traum begegnet ihm deshalb ein Wolf, der diesen Konflikt metaphorisch zum Ausdruck bringt.
Regina Kehn hat den Text wunderschön illustriert. Ihre ästhetischen Bilder erweitern den Text und laden zum Weiter- und Nachdenken ein.

Preis in der Kategorie Jugendbuch

Den Siegertitel in der Kategorie Jugendbuch „Kurz vor dem Rand” von Eva Rottmann, 2023 bei Jacoby & Stuart erschienen, kenne ich nur aus anderen Rezensionen. Protagonistin ist die 17-jährige Skaterin Ari, die allein mit ihrem Vater in einer Hochhaussiedlung lebt. Als eines Tages Tom im Skatepark auftaucht, verliebt sie sich. Doch anscheinend geht das nicht gut, denn die Geschichte beginnt mit den Sätzen:

Ich heiße Ari, und dies ist die Geschichte meiner ersten Liebe. Sie geht nicht gut aus, das sag ich euch gleich. Also wenn ihr auf Happy Ends steht, legt ihr das hier lieber weg und geht euch ein Eis kaufen. Es ist mir ehrlich gesagt scheißegal.

(Kurz vor dem Rand, S. 5.)

Als kurz darauf auch noch ihre Mutter in die Stadt zurückkommt, gerät ihr gewohntes Leben völlig aus den Fugen.

Preis in der Kategorie Sachbuch

Den Deutschen Jugendbuchpreis in der Kategorie Sachbuch hat Patrick Oberholzer mit seiner dokumentarischen Graphic Novel „Games. Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan” (Splitter-Verlag) gewonnen. Darin schildert er die Fluchterfahrungen von fünf Menschen aus Afghanistan und ergänzt sie mit Infografiken und -texten, die sich u.a. damit befassen, warum Menschen aus Afghanistan flüchten, wie eine Flucht organisiert wird oder wie ein Asylverfahren abläuft.

In der Jurybegründung heißt es:

Das Zusammenspiel aus Sachinformationen und Erlebnis-Berichten lässt ein Buch entstehen, das ins Licht setzt, was zu oft im Schatten verbleibt: Flucht und Migration sind physisch und psychisch eine so immense wie unmenschliche Belastung, dass deren Beschreibung die Grenzen des Sagbaren sprengt.

(Jurybegründung, abgerufen auf: https://www.jugendliteratur.org/buch/games-4350-9783987212536/?page_id=1, 21.10.2024, 14.30 Uhr)

Preis in der Kategorie Jugendjury

Am meisten freue ich mich jedes Jahr auf die Präsentationen der Jugendjury, denn die Jugendlichen setzen jeden nominierten Titel in Szene. Das ist auch in diesem Jahr wieder toll gelungen. Schwarz gekleidet haben sie mit zwei Getränkekisten und Seilen alle Nominierungen in kurzen Sequenzen auf der Bühne vorgestellt.

Von dem Titel, den die Jugendjury prämiert hat, war ich allerdings sehr überrascht. Ausgewählt haben sie den historischen Roman „Durch das große Feuer” von Alice Winn (Übersetzung: Ursula Wulfekamp und Benjamin Mildner), das 2023 im Eisele-Verlag erschienen ist. Die Geschichte spielt in England zur Zeit des Ersten Weltkriegs und dreht sich um die heimliche Liebesbeziehung zweier junger Männer, die anfangs noch Schüler sind, sich dann aber freiwillig an die Front melden.

Ich habe das Buch recht früh abgebrochen, weil mir die Kriegsschilderungen viel zu nahegegangen sind. Das lag u.a. daran, dass die Figuren authentisch und einfühlsam geschildert sind. Auch sprachlich hat mir das Buch gefallen. Trotzdem zwinge ich mich nicht, Bücher zu beenden, wenn mir persönlich die Inhalte zu grausam sind. Die Erlebnisse an der Front werden zwar aus einer distanzierten Perspektive geschildert, aber eben doch benannt. Das ist literarisch clever gelöst, denn anders lassen sich solche Erlebnisse wohl weder für Betroffene noch für Lesende aushalten.

Sonderpreise – Übersetzung

Die Sonderpreise wurden in diesem Jahr für Übersetzer:innen vergeben. Astrid Bührle-Gallet erhielt für ihre Übersetzung des französischen Romans „Möge der Tigris um dich weinen” von Emilienne Malfatto, erschienen 2023 im Orlanda-Verlag, den Sonderpreis „Junge Talente”. Darin geht es um eine junge Frau im Irak, die in einer ländlichen Gegend aufwächst und unehelich schwanger wird.

Für sein Lebenswerk im Bereich Übersetzung wurde Rolf Erdorf geehrt, der von Bilderbüchern über Kinder- und Jugendromane bis hin zu Lyrik dutzende Werke aus dem Niederländischen übersetzt hat. Vielleicht kennt ihr seine Übersetzung von „Mischka” von Edward van de Vendel und Anoush Elman (Thienemann 2023), das ebenfalls auf der Auswahlliste für den diesjährigen Kinderliteraturpreis stand, oder seine Übersetzung von „Wie schön weiß ich bin” von Dolf Verroen (Peter Hammer 2005) oder die Übersetzung „Dr. Linda, Schrödinger und eine Leiche im Kühlhaus” von Jan de Leeuw (Gerstenberg 2010).

(Heinke Ubben, 22.10.2024)

Und nun die Siegertitel mit allen blibliographischen Angaben:

Bilderbuch:
Mượn Thị Văn
Wünsche
Illustration: Victo Ngai
Übersetzung: Petra Steuber
Horami
Berlin 2023
ISBN: 978-3-9824396-5-5

Kinderbuch:
Saša Stanišić
Wolf
Illustration: Regina Kehn
Wolf
Carlsen
Hamburg 2023
ISBN: 978-3-551-65204-1

Jugendbuch:
Eva Rottmann
Kurz vor dem Rand
Jacoby & Stuart
Berlin 2023
ISBN: 978-3-96428-188-3

Sachbuch:
Patrick Oberholzer
Games. Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan
Splitter Verlag
Bielefeld 2023
ISBN: 978-3-98721-253-6

Jugendjury:
Alice Winn
Durch das große Feuer
Übersetzung: Benjamin Mildner und Ursula Wulfekamp
Eisele Verlag
München 2023
ISBN: 978-3-96161-160-7

Sonderpreis „Neue Talente”:
Astrid Bührle-Gallet
für ihre Übersetzung:
Möge der Tigris um dich weinen
Emilienne Malfatto
Orlanda
Berlin 2023
ISBN: 978-3-949545-30-6

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