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Cover des Jugendbuchs "After the fire" von Will Hill

Überlebende einer Sekte

„After the fire” gehört zu den eindringlichsten Romanen, die ich in den letzten Jahren gelesen habe. Darin geht es um die 17-jährige Moonbeam, die in einer Sekte aufgewachsen ist. Kürzlich hat ein Großaufgebot des FBI das abgeschottete Gelände der Sekte gestürmt und ein Inferno ausgelöst. Nun befinden sich Moonbeam und die anderen überlebenden Kinder in einer Psychiatrie.

Ich höre, wie sich ein Schloss dreht, und halte die Luft an, als die Tür aufgeht und ein Mann das Zimmer betritt. (…)
Man spricht nicht mit Leuten von draußen. Niemals.
„Ich bin Doktor Robert Hernandez”, fährt der Mann fort, „Leiter der Kinderpsychiatrie an der Universitätsklinik von Texas in Austin. Weißt du, was das bedeutet?”
Ich schweige.
„Es bedeutet, dass ich auf das Wohl von Kindern spezialisiert bin”, sagt er. „Besonders von Kindern, die traumatische Erlebnisse gehabt haben. Ich höre ihnen zu und versuche ihnen zu helfen.”
In meinem Kopf schreit Father John, dass Leute von draußen mir nur wehtun wollen, dass sie mich foltern und töten wollen.

(S. 19)

Im Augenblick des FBI-Kugelhagels zerfällt Moonbeams Leben in ein Davor und Danach.

Im Danach, dem Jetzt, befindet sich die Ich-Erzählerin in der Psychiatrie. Anfangs vertraut sie niemandem. Aber Moonbeam ist klug, beginnt vieles zu hinterfragen und fasst allmählich Zutrauen zu ihrem Arzt, später auch zu einem FBI-Agent.

Im Davor schildert sie ihre Zeit in der Sekte. Ihr Vater ist früh gestorben, ihre Mutter wurde aus der „Legion” ausgeschlossen. Nach und nach baute Father John ein System aus strengen Verhaltensregeln, Kontrolle, Manipulation, Gewalt und Folter auf, das er mit göttlichem Willen begründete.

Ich finde es beeindruckend, wie es Will Hill gelingt zu veranschaulichen, dass Fanatismus eindeutige Wahrheiten verspricht, die es nicht gibt. Am Beispiel von Moonbeam wird deutlich, wie schwer es ist, sich von solchen vermeintlichen Wahrheiten zu lösen. Es dauert, bis Moonbeam sich eingestehen kann, dass Father John Gewalt und manipulative Tricks angewendet hat, um sie und alle anderen zu konditionieren, und dass hinter dieser Gehirnwäsche, der Gewalt und den (Todes-)Drohungen nicht der Wunsch nach dem Seelenheil seiner Anhänger:innen stand, sondern Father Johns ureigenstes Machtinteresse.

Sowieso ist diese Geschichte sehr geschickt angelegt. Abwechselnd erfahren wir, was sich im Davor und Danach ereignet(e).

Je mehr Vertrauen Moonbeam zu ihrem Arzt fasst, desto mehr spitzen sich die Dinge zu, die sie aus ihrer Zeit in der Sekte erzählt. Vieles verschweigt Monnbeam, denn sie fühlt sich schuldig. Aber darüber redet sie lange nicht.
Father John hatte ein gnadenloses Terror-Regime errichtet – mit bewaffneten Wachleuten und unmenschlichen Strafen für Ungehorsam und Widerstand. Diese Schilderungen sind eindringlich und nicht immer leicht zu ertragen, aber auch sehr einfühlsam. Will Hill beschönigt nichts, redet aber auch nichts klein.

Im Nachwort beschreibt der britische Autor, dass er seine Geschichte an die Ereignisse im texanischen Waco angelehnt hat. 1993 führte dort der vermeintliche Messias Vernon Howell (David Koresh) die „Branch Davidians“ in ein Massaker aus Kugeln und Feuer.

Dieser Hintergrund macht diesen hochkomplexen, fiktiven Roman umso spannender.

Insgesamt eine mitreißende Geschichte, die psychologisch geschickt aufgebaut ist und die ich kaum aus der Hand legen konnte!

(Heinke Ubben, 17.12.2024)

Vorgestellt wurde:
After the fire
Will Hill
Übersetzung: Wolfram Ströle
dtv (Reihe Hanser): München 2021, 3. Aufl.
ISBN: 978-3-423-65032-8

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